Uploaded by Georgy Chernavin

Carnap DE

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Clberwindung der Metaphysik
durch logischeAnalyse der Sprache
Von
R u d o l f Carnap (Prag)
i. Einleitung.
2.
3.
4.
5.
6.
7-
Die Bedeutung eines Wortes.
Metaphysis~e W~rter ohne Bedeutung.
Der Sinn eines Satzes.
Metaphysisdle Scheins~itze.
Sinnlosigkeit aller Metaphysik.
Metaphysik als Ausdru& des LeDensgefiihls.
i. E i n l e i t u n g
Von den grie~ischen Skeptikern bis zu den Empiristen des
19. Jahrhunderts hat es viele Gegner der Metaphysik gegeben. Die
Art der vorgebracfiten Bedenken ist sehr verschieden gewesen. Manche
erkl~rten die Lehre der Metaphysik fiir falsch, da sie der Erfahrungserkennmis widerspreche. Andere hieken sie nur ftir ungewi~,
da ihre Fragestellung die Grenzen der menschlichen Erkenntnis ~iberschreite. Viele Antimetaphysiker erkl~irten die Besch~igung mit
metaphysischen Fragen fiir unfruchtbar; ob man sic nun beantworten
k~inne oder nicht, jedenfalls sei es unn/Stig, sich um sie zu kiimmern;
man widme sich ganz der praktischen Aufgabe, die jeder Tag dem
t~itigen Menschen stellt!
Durch die Entwicklung der modernen Logik ist es m6glich geworden, auf die Frage nach Giiltigkeit und Berechtigung der Metaphysik
eine neue und sch~irfere Antwort zu geben. Die Untersudaungen der
,,angewandten Logik" oder ,,Erkenntnistheorie", die sich die Aufgabe stellen, durch logische Analyse den Erkennmisgehalt der wissenschafilichen S~itze und damit die Bedeutung der in den S~itzen auftretenden W/Srter (,,Begriffe") klarzustellen, fiihren zu einem positiven und zu einem negativen Ergebnis. Das positive Ergebnis wird
auf dem Gebiet der empirischen Wissenscha~ erarbeitet; die einzelnen Begriffe der verschiedenen Wissenscha~szweige werden gekl~irt;
aao
Rudolf Carnap
ihr formal-logisdaer und erkennmistheoretisdaer Zusammenhang wird
aufgewiesen. Auf dem Gebiet der Metapbysik (einschlief~lich aller
Wertphilosophie und Normwissenschatt) fiihrt die logische Analyse
zu dem negativen Ergebnis, daf~ die vorgeblicben Siitze dieses Gebietes giinzlich sinnlos sin& Damit ist eine radikale Oberwindung
der Metaphysik erreicht, die yon den friiheren antimetaphysischen
Standpunkten aus noch nicht m/Sglich war. Zwar finden sich verwandte
Gedanken schon in manchen friiheren Uberlegungen, z. B. in solchen
yon nominalistischer Art; aber die entscheidende Durchfiihrung ist
erst heute m6glich, nachdem die Logik durda die Entwicklung, die
sie in den letzten Jahrzehnten genommen hat, zu einem Werkzeug
yon hinreichender Sch~irfe geworden ist.
Wenn wir sagen, dat~ die sog. S~itze der Metaphysik sinnlos sind,
so ist dies Wort im strengsten Sinn gemeint. Im unstrengen Sinn
pflegt man zuweilen einen Satz oder eine Frage als sinnlos zu bezeidmen, wenn ihre Aufstellung g~inzlich unfruchtbar ist (z. B. die
Frage: ,,Wie gro]] ist das durchschnittliche K/Srpergewicht derjenigen
Personen in Wien, deren.Telephonnummer m i t - 3 " endet?"); oder auch
einen Satz, der ganz offenkundig falsch ist (z. B. ,,ira Jahr I9Io
hatte Wien 6 Einwohner"), oder einen solchen, der nicht nur empirisch, sondern logisch falsch, also kontradiktorisch ist (z. B. ,,yon den
Personen A und B ist jede I Jahr ~ilter als die andere"). Derartige
S~itze sind, wenn auch unfruchtbar oder falsch, doch sinnvoll; denn
nur sinnvolle S~itze kann man iiberhaupt einteilen in (theoretisch)
fruchtbare und unfruchtbare, wahre und falsche. Im strengen Sinn
sinnlos ist dagegen eine Wortreihe, die innerhalb einer bestimmten,
vorgegebenen Sprache gar keinen Satz bildet. Es kommt vor, dat~
eine soldae Wortreihe auf den ersten Blidi so aussieht, als sei sie ein
Satz; in diesem Falle nennen wir sie einen Scbeinsatz. Unsere These
behauptet nun, dat~ die angeblichen S~itze der Metaphysik sich durch
logisdae Analyse als Scheinsiitze enthiillen.
Eine Sprache besteht aus Vokabular und Syntax, d. h. aus einem
Bestand an W6rtern, die eine Bedeutung haben, und aus Regeln der
Satzbildung; diese Regeln geben an, wie aus W6rtern der verschiedenen Arten S~itze gebildet werden kiSnnen. Demgem~it~ gibt es zwei
Arten yon Sdaeins~itzen: entweder kommt ein Wort vor, yon dem
man nur irrtiimlich annimmt, dab es eine Bedeutung habe, oder die
vorkommenden WiSrter haben zwar Bedeutungen, sind aber in syntaxwidriger Weise zusammengestellt, so dab sie keinen Sinn ergeben.
Wir werden an Beispielen sehen, daft Scheins~itze beider Arten in der
Oberwindung der Metaphysik durch logischeAnalyse der Sprache 22I
Metaphysik vorkommen. Sp~iter werden wir dann ;~berlegen miissen,
welche Griinde fiir unsere Behauptung sprechen, daft die gesamtd
Metaphysik aus solchen Scheins~itzen besteht.
z. D i e B e d e u t u n g e i n e s W o r t e s
Hat ein Wort (innerhalb einer bestimmten Sprache) eine Bedeutung, so pflegt man auch zu sagen, es bezeichne einen ,,Begriff";
sieht es nur so aus, als habe das Wort eine Bedeutung, w~ihrend es
in Wirklid~keit keine hat, so sprechen wir von einem ,,Scheinbegriff".
Wie ist die Entstehung eines solchen zu erkl~iren? Ist nicht jedes
Wort nur deshalb in die Sprache eingefiihrt worden, um etwas Bestimmtes auszudriicken, so daft es yon seinem ersten Gebrauch an
eine bestimmte Bedeutung hat? Wie kann es da in der traditionellen
Sprache bedeutungslose W~rter geben? Urspriinglich hat allerdings
jedes Wort (abgesehen yon seltenen Ausnahmen, fiir die wir sp~iter
ein Beispiel geben werden) eine Bedeutung. Im Lauf der geschichtlichen Entwicklung ~indert ein Wort h~iufig seine Bedeutung. Und
nun kommt es zuweilen auch vor, daft ein Wort seine alte Bedeutung verliert, ohne eine neue zu bekommen. Dadurch entsteht dann
ein Scheinbegriff.
Worin besteht nun die Bedeutung eines Wortes? Welche Festsetzungen miissen in bezug auf ein Wort getroffen sein, damit es
eine Bedeutung hat? (Ob diese Festsetzungen ausdriicklich ausgesprochen sind, wie bei einigen WSrtern und Symbolen der modernen
Wissenschaf~, oder stillschweigend vereinbart sind, wie es bei den
meisten W~Srtern der traditionellen Sprache zu sein pflegt, darauf
kommt es fiir unsere f3berlegungen nicht an.) Erstens muff die Syntax
des Wortes festliegen, d. h. die Art seines Auf~retens in der einfachsten Satzform, in der es vorkommen kann; wir nennen diese
Satzform seinen Elementarsatz. Die elementare Satzform fiir das
Wort ,,Stein" ist z. B. ,,x ist ein Stein"; in S~itzen dieser Form steht
an Stelle von ,,x" irgendeine Bezeidanung aus der Kategorie der
Dinge, z. B. ,,dieser Diamant", ,,dieser Apfel". Zweitens muft fiir
den Elementarsatz S des betreffenden Wortes die Antwort auf folgende Frage gegeben sein, die wir in verschiedener Weise formulieren k6nnen:
i. Aus was fiir S~itzen ist S ableitbar, und welche Siitze sind aus
S ableitbar?
2. Unter welchen Bedingungen soil S wahr, unter welchen falsch
sein?
222
Rudolf Carnap
3. Wie ist S zu verilqzieren?
4- Welchen Sinn hat S?
(I) ist die korrekte Formulierung; die Formulierung (2) paflt sich
der Redeweise der Logik an, (3) der Redeweise der Erkenntnistheorie, (4) der der Philosophie (Ph/inomenologie). Daft das, was
die Philosophen mit (4) meinen, dural1 (2) erfaft wird, hat W i t t g e n s t e i n ausgesprochen: der Sinn eines Satzes liegt in seinem
Wahrheitskriterium. [(i) ist die ,,metalogische" Formulierung; eine
ausfiihrliche Darstellung der Metalogik als Theorie der Syntax und
des Sinnes, d. h. der Ableitungsbeziehungen, soil sp~iter an anderer
Stelle gegeben werden.]
Bei vielen WiSrtern, und zwar bei der iiberwiegenden Mehrzahl
aUer Wi~rter der Wissenschafi, ist es miSglich, die Bedeutung durch
Zuriickfiihrung auf andere W/Srter (,,Konstitution", Definition) anzugeben. Z. B.: ,,,Arthropoden' sind Tiere mit gegliedertem K/~rper,
gegliederten Extremit~iten und einer K/Srperde&e aus Chitin." Hierdurch ist fiir die elementare Satzform des Wortes ,,Arthropode",
n/imlidx fiir die Satzform ,,das Ding x ist ein Arthropode", die vorhin genannte Frage beantwortet; es ist bestimmt, dab ein Satz
dieser Form ableitbar sein soil aus Pr~imissen von der Form ,,x ist
ein Tier", ,,x hat einen gegliederten K6rper", ,,x hat gegliederte
Extremit~iten", ,,x hat eine K/Srperdecke aus Chitin", und da~ umgekehrt jeder dieser S/itze aus jenem Satz ableitbar sein soil. Durch
diese Bestimmungen fiber Ableitbarkeit (in anderer Ausdrucksweise:
fiber das Wahrheitskriterium, die Verifikationsmethode, den Sinn)
des Elementarsatzes iiber ,,Arthropode" ist die Bedeutung des Wortes ,,Arthropode" festgelegt. In dieser Weise wird jedes Wort der
Sprache auf andere W6rter und schlieflich auf die in den sog. ,,Beobachtungss~itzen" oder ,,Protokolls/itzen" vorkommenden W6rter
zuriickgefiihrt. Durch diese Zuriickfiihrung erh~ilt das Wort seine
Bedeutung.
Die Frage nach Inhalt und Form der ersten S~itze (Protokolls/itze), die bisher
noch keine endgiiltige Beantwortung gefunden hat, ki~nnen wir f~ir unsere Er/~rterung ganz beiseite lassen. Man pflegt in der Erkennmistheorie zu sagen, daft
die ersten SStze sich auf ,,das Gegebene'" beziehen; es besteht aber keine Ubereinstimmung in der Frage, was als das Gegebene anzusprechen ist. Zuweilen wird
d i e Auffassung vertreten, daft die S~itze iiber das Gegebene von einfachsten
Sinnes- und Gefiihlsqualit/iten sprechen (z. B. ,,warm", ,,blau", ,,Freude" und
dergl.); andere neigen zu der Auffassung, daft die ersten S~itze yon Gesamterlebnissen und Ahnlichkeitsbeziehungen zwischen solchen sprechen; eine weitere
Auffassung meint, daft auda die ersten S~itze schon von Dingen sprechen. Unabh/ingig yon der Verschiedenheit dieser Auffassungen steht lest, daft elne Wort-
f.Yberwindungder Metaphysik durch logischeAnalyse der Sprache 223
reihe nur dann einen Sinn hat, wenn ihre Ableitungsbeziehungenaus ProtokoUs~itzen feststehen, mBgen diese Protokolls~itze nun von dieser oder jener Beschaffenheit sein; und ebenso, dat~ ein Wort nur dann eine Bedeutung hat, wenn
die S~itze, in denen es vorkommen kann, auf Protokolls~itze zuriickfiihrbar sind.
Da die Bedeutung eines Wortes durch sein Kriterium bestimmt ist
(in anderer Ausdrucksweise: durch die Ableitungsbeziehungen seines
Elementarsatzes, durch seine Wahrheitsbedingungen, durch die Methode seiner Verifikation), so kann man nicht nach der Festsetzung
des Kriteriums auch noch dariiber verfiigen, was man mit dem Wort
,,meinen" wolle. Man darf nicht weniger als das Kriterium angeben,
damit das Wort eine scharfe Bedeutung erh~ilt; aber man kann auch
nicht mehr als das Kriterium angeben, denn durch dieses ist alles
Weitere bestimmt. Im Kriterium ist die Bedeutung implizit enthalten;
es bleibt nur iibrig, sie explizit herauszustellen.
Nehmen wir beispielshalber an, jemand bilde das neue Wort
,,babig" und behaupte, es g/ibe Dinge, die babig sind, und solche,
die nicht babig sind. Um die Bedeutung dieses Wortes zu erfahren,
werden wir ihn nach dem Kriterium fragen: Wie ist im konkreten
Fall festzustellen, ob ein bestimmtes Ding babig ist oder nicht? N u n
wollen wir zun~ichst einmal annehmen, der Gefragte bleibe die Antwort schuldig; er sagt, es gebe keine empirischen Kennzeichen fiir die
Babigkeit. In diesem Falle werden wir die Verwendung des Wortes
nieht f~ir zul~issig halten. Wenn der das Wort Verwendende trotzdem sagt, es gebe babige und nicht babige Dinge, nur bleibe es ffir
den armseligen, endlichen Verstand des Menschen ein ewiges Geheimnis, welche Dinge babig sind und welche nioht, so werden wir
dies fiir leeres Gerede ansehen. Vielleicht wird er uns aber versichern,
daf~ er mit dem Wort ,,babig" cloch etwas meine. Daraus erfahren
wir jecloch nur das psychologische Faktum, dat~ er irgendwelche Vorstellungen und Gef~ihle mit dem Wort verbindet. Aber eine Bedeutung bekommt das Wort hierdurch nicht. Ist kein Kriterium fiir das
neue Wort festgesetzt, so besagen die S~itze, in denen es vorkommt,
nichts, sie sind blot~e Scheins/itze.
Zweitens wollen wir den Fall annehmen, dab das Kriterium fiir
ein neues Wort, etwa ,,bebig", festliegt; und zwar sei der Satz:
,,Dies Ding ist bebig" stets dann und nur dann wahr, wenn das
Ding viereckig ist. (Dabei ist es fiir unsere ~berlegungen ohne Belang, ob dieses Kriterium uns ausdr[icklich angegeben wird, oder ob
w i r e s dadurch feststellen, dab wir beobachten, in welchen F~illen
das Wort bejahend und in wekhen F~illen es verneinend gebraucht
~6 E r k e n n t n i s
II
224
Rudolf Carnap
wird.) Hier werden wir sagen: Das Wort ,,bebig" hat dieselbe Bedeutung wie das Wort ,,viereckig". Und wir werden es als unzuliissig
ansehen, wenn die das Wort Verwendenden uns sagen, sie ,,meinten"
aber etwas anderes damit als ,,viereckig"; es sei zwar jedes viereckige
Ding auch bebig und umgekehrt, aber das beruhe nur darauf, daig
die Viere&igkeit der sichtbare Ausdruck fiir die Bebigkeit sei, diese
aber sei eine geheime, selbst nicht wahrnehmbare Eigenschafi. Wir
werden entgegnen, da~, nachdem hier das Kriterium festliegt, auch
schon festliegt, das ,,bebig" ,,viere&ig" bedeutet, und da~ gar nicht
mehr die Freiheit besteht, dies oder jenes andere mit dem Wort zu
,,meinen".
Das Ergebnis unserer Oberlegungen sei kurz zusammengefa~t.
,,a" sei irgendein Wort und ,,S(a)" der Elementarsatz, in dem es
auf{ritt. Die hinreidlende und notwendige Bedingung dafiir, dat~ ,,a"
eine Bedeutung hat, kann dann in jeder der folgenden Formulierungen angegeben werden, die im Grunde dasselbe besagen:
I. Die empirisd~en Kennzeichen for ,,a" sind bekannt.
2. Es steht lest, aus was fiir ProtokoUs/itzen ,,S(a)'" abgeleitet
werden kann.
3. Die Wabrheitsbedingungen fiir ,,S(a)" liegen lest.
4. Der Weg zur Verifikation yon ,,S(a)" ist bekanntl).
3. M e t a p h y s i s c h e
W/3rter ohne Bedeutung
Bei vielen W/Srtern der Metaphysik zeigt sich nun, da~ sie die
soeben angegebene Bedingung nidat erfiillen, da~ sie also ohne Bedeutung sind.
Nehmen wir als Beispiel den metaphysischen Terminus ,,Prinzip" (und zwar als Seinsprinzip, nicht als Erkennmisprinzip oder
Grundsatz). Verschiedene Metaphysiker geben Antwort auf die Frage,
was das (oberste) ,,Prinzip der Welt" (oder ,,der Dinge", ,,des
Seins", ,,des Seienden") sei, z. B.: das Wasser, die Zahl, die Form,
die Bewegung, das Leben, der Geist, die Idee, das Unbewufgte, die
Tat, das Gute und dergl, mehr. Um die Bedeutung, die das Wort
,,Prinzip" in dieser metaphysischen Frage hat, zu finden, miissen
wir die Metaphysiker fragen, unter welchen Bedingungen ein Satz
1) U b e r die logische und erkennmistheoretische Auffassung, die unserer Darlegung zugrunde liegt, hier aber n u r kurz angedeutet w e r d e n kann, vgL:
W i t t g e n s t e i n , T r a c t a t u s logieo-philosophicus, I922.
C a r n a p , D e r logische A u f b a u der Welt, x928.
W a i s m a n n , Logik, Spraehe, Philosophie. (In Vorbereitung.)
Oberwindung der Metapbysik dutch logischeAnalyse der Sprache a2 5
yon der Form ,,x ist das Prinzip von y" wahr und unter weldaen
er falsch sein soll; mit anderen Worten: wir fragen nach den Kennzeichen oder na& der Definition des Wortes ,,Prinzip". Der Metaphysiker antwortet ungef~ihr so: ,,x ist das Prinzip von y" soil heifen ,,y geht aus x hervor", ,,das Sein von y beruht auf dem Sein
von x", ,,y besteht dutch x" oder dergl. Diese Worte aber sind vieldeutig und unbestimmt. Sie haben h~ufig eine klare Bedeutung; z.B.
sagen wir yon einem Ding oder Vorgang y, er ,,gehe hervor" aus
x, wenn wir beobachten, dab auf Dinge oder Vorg~inge yon der Art
des x h~ufig oder immer solche yon der Art des y folgen (Kausalverh~ilmis im Sinn einer gesetzm~fligen Aufeinanderfolge). Aber der
Metaphysiker sagt uns, dat~ er nicht dieses empirisch feststellbare
Verh~ilmis meine; denn sonst wiirden ja seine metaphysischen Thesen
einfache Erfahrungss~itze v o n d e r gleichen Art wie die der Physik.
Das Wort ,,hervorgehen" solle hier nicht die Bedeutung eines Zeitfolge- und Bedingungsverh~ltnisses haben, die das Wort gewShnlich
hat. Es wird aber ftir keine andere Bedeutung ein Kriterium angegeben. Folglich existiert die angebliche ,,metaphysische" Bedeutung,
die das Wort im Unterschied zu jener empirisdlen Bedeutung hier
haben soll, ~iberhaupt nicht. Denken wir an die urspriingliche Be~
deutung des Wortes ,,principium" (und des entsprechenden gried~isdlen Wortes ,,~QX~"), so bemerken wir, dab hier der gleiche Entwicklungsgang vorliegt. Die ursprfingliche Bedeutung ,,Anfang" wird
dem Wort ausdriicklich genommen; es soil nicht mehr das zeitlich
Erste, sondern das Erste in einer anderen, spezifisch metaphysischen
Hinsicht bedeuten. Die Kriterien fiir diese ,,metaphysische Hinsicht"
werden aber nidat angegeben. In beiden F~illen ist also dem Wort
seine friihere Bedeutung genommen worden, ohne ihm eine neue zu
geben; es bleibt das Wort als leere Hiilse zuriick. Aus einer friiheren
bedeutungsvollen Periode hafien ihm noch verschiedene Vorstellungen
assoziativ an; fie verkniipfen sich mit neuen Vorstellungen und Gefiihlen durch den Zusammenhang, in dem man nunmehr das Wort
gebrauoht. Aber eine Bedeutung hat das Wort dadurda nicht; und es
bleibt auch weiter bedeutungslos, solange man keinen Weg zur Verifikation angeben kann.
Ein anderes Beispiel ist das Wort ,,Gott". Bei diesem Wort m[issen
wir, abgesehen yon den Varianten seines Gebrauchs innerhalb eines
jeden der Gebiete, den Sprachgebrauch in drei verschiedenen F/illen
oder historischen Perioden, die aber zeitlich ineinander iiberflieflen,
unterscheiden. Im mythologischen Sprachgebrauch hat das Wort eine
226
Rudolf Carnap
klare Bedeutung. Es werden mit diesem Wort (bzw. mit den ParallelwSrtern anderer Sprachen) zuweilen kiSrperliche Wesen bezeichnet,
die etwa auf dem Olymp, im Himmel oder in der Unterwelt thronen,
und die mit Macht, Weisheit, Giite und Gliick in mehr oder minder
vollkommenem MaBe ausgestattet sind. Zuweilen bezeichnet das Wort
auch seelisch-geistige Wesen, die zwar keinen menschenartigen Ki~rper haben, aber doch irgendwie in den Dingen oder Vorg~ingen der
sichtbaren Welt sich zeigen und daher empirisch feststellbar sind.
Im metapbysischen Sprachgebrauch dagegen bezeichnet ,,Gott" etwas
Elberempirisches. Die Bedeutung eines k~rperlichen oder eines im
K6rperlichen steckenden seelischen Wesens wird dem Wort ausdriicklich genommen. Und da ihm keine neue Becleutung gegeben wird,
so wird es bedeutungslos. Allerdings sieht es h~iufig so aus, als g~ibe
man dem Wort ,,Gott" eine Bedeutung auch im Metaphysischen.
Aber die Definitionen, die man aufstellt, erweisen sich bei n~iherem
Zusehen als Scheindefinitionen; sie fiihren entweder auf logisch unzul~issige Wortverbindungen (yon denen sp~iter die Rede sein wird)
.oder auf andere metaphysische ~r
zuriick (z. B. ,,Urgrund", ,,das
Absolute", ,,das Unbedingte", ,,das Unabh~ingige", ,,das Selbst~indige" und dergl.), aber in keinem Fall auf die Wahrheitsbedingungen semes Elementarsatzes. Bei diesem Wort wird nicht einmal die
erste Forderung der Logik erfiillt, n~imlich die Forderung nach Angabe seiner Syntax, d. h. der Form seines Vorkommens im Elementarsatz. Der Elementarsatz miit~te hier die Form haben ,,x ist ein
Gott"; der Metaphysiker aber lehnt entweder diese Form g~inzlich
ab, ohne eine andere anzugeben, oder er gibt, wenn er sie annimmt,
nicht die syntaktische Kategorie der Variablen x an. (Kategorien
sind z. B.: K~Srper, Eigenschat~en yon KSrpern, Beziehungen zwischen
K6rpern, Zahlen usw.).
Zwischen dem mythologischen und dem metaphysischen Sprachgebrauch steht der tbeologiscbe Spracbgebraucb in bezug auf das
Wort ,,Gott". Hier liegt keine eigene Bedeutung vor, sondern man
schwankt zwischen jenen beiden Anwendungsarten hin und her.
Manche Theologen haben einen deutlich empirischen (also in unserer
Bezeichnungsweise ,,mythologischen") Gottesbegriff. In diesem Fall
liegen keine Scheins~itze vor; aber der Nachtei! fiir den Theologen
besteht darin, dab bei dieser Deutung die S~itze der Theologie empirische S~itze sind und daher dem Urteil der empirischen Wissenschat~
unterstehen. Bei anderen Theologen liegt deutlich der metaphysische
Sprachgebrauch vor. Wieder bei anderen ist der Sprachgebrauch un-
Oberwindungder Metaphysikdurd~logischeAnalyse der Spracbe 227
klar, sei es, dab sie zuweilen diesem, zuweilen jenem Sprachgebrauda
folgen, sei es, daft sie sich in nicht klar fatlbaren, nach beiden Seiten
schillernden Ausdriicken bewegen.
Ebenso wie die betradareten Beispiele ,,Prinzip" und,,Gott" sind auda
die meisten anderen spezifisch metapbysiscbenTermini obne Bedeutung,
z. B. ,,Idee", ,,das Absolute", ,das Unbedingte", das,,Unendliche",,,das
Sein des Seienden", ,,das Nidat-Seiende", ,,Ding an sich", ,,absoluter
Geist", ,,objektiver Geist", ,,Wesen", ,,Ansichsein"; ,,Anundfiirsichsein", ,,Emanation", ,,Manifestation", ,,Ausgliederung", ,,das Ida",
,,das Nidat-Ida" usw. Mit diesen Ausdriicken verh~ilt es sida nidat
anders als mit dem Wort ,,babig" in dem friiher erdachten Beispiel.
Der Metaphysiker sagt uns, daft sich empirische Wahrheitsbedingungen nicht angeben lassen; wenn er hinzufiigt, dafg er mit einem soldaen Wort trotzdem etwas ,,meine", so wissen wir, dab damit nur
begleitende Vorstellungen und Gefiihle-angedeutet sind, durch die
das Wort aber keine Bedeutung erh~ilt. Die metaphysisdaen angeblichen S~itze, die soldae WSrter enthalten, haben keinen Sinn, besagen nichts, sind blot~e Sdaeins~,itze. Wie ihre historische Entstehung
zu erkl~iren ist, werden wir sp~iter iiberlegen.
4. D e r S i n n e i n e s S a t z e s
Bisher haben wir Scheinsiitze betrachtet, in denen ein bedeutungsloses Wort vorkommt. Es gibt nun noda eine zweite Art yon Scheinditzen. Sie bestehen aus W~rtern mit Bedeutung, sind aber aus diesen W~rtern so zusammengesetzt, dal~ sich doda kein Sinn ergibt.
Die Syntax einer Sprache gibt an, welche Wortverbindungen zul~issig
und welche unzuliissig sind. Die grammatische Syntax der natiirlichen
Sprachen erfiillt aber die Aufgabe der Ausschaltung sinnloser Wortverbindungen nicht iiberall. Nehmen wir als Beispiel die folgenden
beiden Wortreihen:
I. ,,Caesar ist und",
2. ,,Caesar ist eine Primzahl."
Die Wortreihe (i) ist syntaxwidrig gebildet; die Syntax verlangt,
daft an dritter SteUe nicht ein Bindewort, sondern ein Priidikat stehe,
also ein Substantiv (mit Artikel) oder ein Adjektiv. SyntaxgemiiR
gebildet ist z. B. die Wortreihe ,,Caesar ist ein Feldherr"; sie ist eine
sinnvoUe Wortreihe, ein wirklidaer Satz. Ebenso ist aber nun auda
die Wortreihe (2) syntaxgem/it~ gebildet, denn sie hat dieselbe grammatische Form wie der soeben genannte Satz. (2) ist aber trotzdem
22 8
Rudolf Carnap
sinnlos. ,,Primzahl" ist eine Eigenschait von Zahlen; sie kann einer
Person weder zu- noch abgesprochen werden. Da (2) aussieht wie
ein Satz, aber kein Satz ist, nichts besagt, weder einen bestehenden
noch einen nicht bestehenden Sachverhalt zum Ausdruck bringt, so
nennen wir diese Wortreihe einen ,,Scheinsatz". Dadurch, dai~ die
grammatische Syntax nicht verletzt ist, wird man auf den ersten
Blick leicht zu der irrigen Meinung verfiihrt, man habe es doch mit
einem Satz zu tun, wenn auch mit einem falsehen. ,,a ist eine Primzahl" ist aber dann und nur dann falsch, wenn a durch eine natiirlithe Zahl, die weder a noch I ist, teilbar ist; hier kann offenbar
fiir ,,a'" nicht ,,Caesar" gesetzt werden. Dieses Beispiel ist so gew~ihlt
worden, da~ die Sinnlosigkeit leicht zu bemerken ist; bei manchen
metaphysischen sog. S~itzen ist nicht so leicht zu erkennen, daft sie
Scheinsiitze sind. DaB es in der gew/Shnlichen Sprache m~Sglich ist,
eine sinnlose Wortreihe zu bilden, ohne die Regeln der Grammatik
zu verletzen, weist darauf hin, dab die grammatische Syntax, vom
logischen Gesichtspunkt aus betrachtet, unzul~inglich ist. Wiirde die~
grammatische Syntax der logischen Syntax genau entsprechen, so
kiJnnte kein Scheinsatz entstehen. Wiirde die grammatische Syntax
nicht nur die Wortarten der Substantive, der Adjektive, der Verben, der Konjunktionen usw. unterscheiden, sondern innerhalb dieser
Arten noch gewisse logisdl geforderte Unterschiede machen, so k/~nnten keine Scheins~itze gebildet werden. Wiirden z. B. die Substantive
grarnmatisch in mehrere Wortarten zerfallen, je nachdem, ob sie
Eigenschatten von K~Srpern, von Zahlen usw. bezeichnen, so wiirden
die W/Jrter ,,Feldherr'" und ,,Primzahl'" zu grammatisch verschiedenen Wortarten gehiJren, und (2) wiirde genau so sprachwidrig sein
wie (i). In einer korrekt aufgebauten Sprache w~iren also alle sinnlosen Wortreihen v o n d e r Art des Beispiels (i). Sie wiirden somit
schon durch die Grammatik gewissermaf~en automatisch ausgeschaltet;
cl. h. man brauehte, um Sinnlosigkeit zu vermeiden, nicht auf die
Bedeutung der einzelnen WiJrter zu achten, sondern nur auf ihre
Wortart (die ,,syntaktische Kategorie", z. B.: Ding, Dingeigenschait,
Dingbeziehung, Zahl, Zahleigenschaflc, Zahlbeziehung u. a.). Wenn
unsere These, daf~ die S~itze der Metaphysik Scheins~itze sind, zu
Recht besteht, so wiirde also in einer logisch korrekt aufgebauten
Sprache die Metaphysik gar nicht ausgedriickt werden k/Snnen. Daraus ergibt sich die gro~e philosophische Bedeutsamkeit der Aufgabe
des Aufbaus einer logischen Syntax, an der die Logiker gegenw~irtig
arbeiten.
Oberwindung der Metaphysik durcb logische Analyse der Sprache 229
5- M e t a p h y s i s c h e
Scheins~itze
Wir wollen nun einige Beispiele metaphysischer Scheins~itze aufzeigen, an denen sich besonders deutlich erkennen l~it~t, dat~ die
logische Syntax verletzt ist, obwohl die historisch-grammatische Syntax erfiillt ist. Wir w~ihlen einige Siitze aus derjenigen metaphysischen Lehre, die gegenw~irtig in Deutschland den st~irksten Einflut~
ausiibtl).
,,Erforscht werden soll das Seiende nur und sonst m nichts; das
Seiende allein und weiter - - nichts; das Seiende einzig und dariiber
hinaus - - nichts. W i e steht es ~um dieses Nichts? ~ ~ Gibt es das
Nichts nur, well es das Nicht, d. h. die Verneinung gibt? Oder liegt
es urngekehrt? Gibt es die Verne!nung und das Nicbt nur, weil es
das Nichts gibt? - - ~ Wir behaupten: Das Nichts ist urspriinglicher
als das Nicbt und die Verneinung. ~ ~ Wo suchen wir das Nichts?
Wie finden wir das Nichts? - - - - Wir kennen das Nichts.
Die Angst offenbart das Niehts. - - ~ Wovor und warum wir uns
~ingsteten, war ,eigentlich' ~ nichts. In der Tat: das Nichts selbst - als solches ~ war da. - - - - W i e steht es um das Nichts? ~ ~ Das
Nichts selbst nichtet."
Um zu zeigen, daf~ die MSglichkeit dcr Bildung von Scheins~itzen
auf einem logischen Mangel der Sprache beruht, stellen wir das
untenstehende Schema auf. Die S~itze unter I sind sowohl grammatisch wie logisch einwandfrei, also sinnvoll. Die S~itze unter II
(mit Ausnahme yon B 3) stehen grammatisch in vollkommener Analogie zu denen unter I. Die Satzform II A (als Frage und Antwort)
entspricht zwar nicht den Forderungen, die an eine logisch korrekte
Sprache zu stellen sind. Sie ist aber trotzdem sinnvoll, da sie sich
in korrekte Sprache iibersetzen l~iflt; das zeigt der Satz III A, der
denselben Sinn wie II A hat. Die Unzweckm~if~igkeit der Satzform
II A zeigt sich dann darin, daf~ wir von ihr aus durch grammatisch
einwandfreie Operationen zu den sinnlosen Satzformen I I B gelangen k/Snnen, die dem obigen Zitat entnommen sind. Diese Formen lassen sich in der korrekten Sprache der Kolonne III iiberhaupt
nicht bilden. Trotzdem wird ihre Sinnlosigkeit nicht auf den ersten
Blick bemerkt, da man sich leicht durch die Analogie zu den sinnx) Die folgenden Zitate (Sperrungen im Original) sind entnommen aus:
M. H e i d e g g e r , Was ist Metaphysik? I929. Wir h~itten ebensogut Stellen aus
irgendeinem anderen der zahlreichen Metaphysiker der Gegenwart oder der Vergangenheit entnehmen k6nnen; doch scheinen uns die ausgew~ihlten Stellen unsere
Auffassung besonders deutlida zu illustrieren.
230
Rudolf Carnap
vollen S~itzen I B t~iuschen l~iftt. Der hier festgesteUte Fehler unserer
Sprache liegt also darin, daft sie, im Gegensatz zu einer logisch korrekten Sprache, grammatisdae Formgleichheit zwischen sinnvollen und
sinnlosen Wortreihen zul~iftt. Jedem Wortsatz ist eine entsprechende
Formel in der Schreibweise der Logistik beigefiigt; diese Formeln
lassen die unzweckm~iftige Analogie zwischen I A und II A und die
darauf beruhende Entstehung der sinnlosen Bildungen I I B besonders
deutlich erkennen.
I. Sinnvolle Si/tze R. Entstehung vonSinnlosem IH.Logischkorrekte
aus Sinnvollemin der iiblichen
Sprache.
der iiblichen
Sprache.
Sprache.
A.Was ist draul~en?
A.Es gibt nicht(existiert
A.Was ist draut~en?
dr (?) nicht, ist nicht vordr (?)
Drautgenist nichts.
Dra~en ist Regen.
handen) etwas, das
drau~en ist.
dr (NO
dr (Re)
(3 x). dr (x)
B. Wie stehtesumdiesen B.,,Wie steht es um dieses B. Alle diese Formen
k6nnen iibeTbaupt
Regen?(d. h. : wasrut Nichts?"
? (Ni)
nicbt gebildet werder Regen?oder:was
liifit sida iiber diesen
den.
Regensonstnochaussagen?)
? (Re)
x.Wir kennen den
x. ,,Wirsuchendas Nichts", ]
Regen.
k (Re)
,,Wit findendas Nichts",~ k (Ni)
,,Wir kennendasNichts".J
2. Der Regenregnet. 2. ,,Das Nichts nichtet".
re (Re)
ni (Ni)
3. ,,Es gibt das Nidats nur, weil ..."
ex (Ni)
Bei genauerer Betrachtung der Scheins~itze unter II B zeigen rich
noch gewisse Unterschiede. Die Bildung der S/itze (I) beruht einfach
auf dem Fehler, daft das Wort ,,nichts" als Gegenstandsname verwendet wird, weil man es in der iiblichen Sprache in dieser Form
zu verwenden pflegt, um einen negativen Existenzsatz zu formulieren (siehe II A). In einer korrekten Sprache dient dagegen zu dem
gleichen Zwed~ nicht ein besonderer Name, sondern eine gewisse
logische Form des Satzes (siehe III A). Im Satz I I B 2 kommt noch
etwas Neues hinzu, n~imlich die Bildung des bedeutungslosen Wortes
,,nichten"; der Satz ist also aus doppeltem Grunde sinnlos. Wir
haben friiher dargelegt, daft die bedeutungslosen WSrter der Metaphysik gewShnlich dadurch entstehen, daft einem bedeutungsvollen
Wort durch die metaphorische Verwendung in der Metaphysik die
Bedeutung genommen wird. Hier dagegen haben wir einen der seb
Oberwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache 23 x
tenen F~ille vor uns, dais ein neues Wort eingefiihrt wird, das schon
von Beginn an keine Bedeutung hat. Satz II B 3 ist ebenfalls aus
doppeltem Grunde abzulehnen. In dem Fehler, das Wort ,,nichts"
als Gegenstandsname zu benutzen, stimmt er mit den vorhergehenden S~itzen iiberein. Auiserdem enth~ilt er aber einen Widerspruch.
Denn selbst, wenn es zul~issig w~ire, ,,nichts" als Name oder Kennzeichnung eines Gegenstandes einzufiihren, so wiirde doch diesem
Gegenstand in seiner Definition die Existenz abgesprochen werden,
in Satz (3) abet wieder zugeschrieben werden. Dieser Satz wiirde
also, wenn er nicht schon sinnlos w~ire, kontradiktorisch, also unsinnig sein.
Angesichts der groben logischen Fehler, die wir in den S~itzen
IIB finden, k~innten wir auf die Vermutung kommen, daiS in der
zitierten Abhandlung vielleicht das Wort ,,nichts" eine v~Jllig andere
Bedeutung haben soll als sonst. Lind diese Vermutung wird noch best~irkt, wenn wir dort weiter lesen, daiS die Angst das Nichts oftenbare, daiS in der Angst das Nichts selbst als solches da sei. Hier
scheint ja das Wort ,,nidlts'" eine bestimmte gefiJhlsmiiiSigeVerfassung, vielleicht religiiSser Art, oder irgend etwas, das einem solchen
Gefiihl zugrunde liegt, bezeichnen zu sollen. Wiire das der Fall, so
wiJrden die genannten logischen Fehler in den S~itzen II B nicht vorliegen. Aber der Anfang des S. 229 gegebenenZitates zeigt, daiS diese
Deutung nicht m~Sglich ist. Aus der Zusammenstellung yon ,,nur"
und ,,und sonst nidlts" ergibt sich deutlich, daiS das Wort ,,nichts"
hier die iibliche Bedeutung einer logischen Partikel hat, die zum Ausdruck eines negierten Existenzsatzes client. An diese Einfiihrung des
Wortes ,,nichts" schlieiSt sich dann unmittelbar die Hauptfrage der
Abhandlung: ,,Wie steht es um dieses Nichts?"
Unser Bedenken, ob wir nicht vielleicht falsch gedeutet haben,
wird aber vollst~indig behoben, wenn wir sehen, daiS der Verfasser
der Abhandlung sich durchaus klar dariiber ist, daiS seine Fragen
und S~itze der Logik widerstreiten. ,,Frage und Antwort im Hinblidi
auf das Nichts sind gleioherweise in sich widersinnig.
Die
gemeinhin beigezogene Grundregel des Denkens iiberhaupt, der Satz
vom zu vermeidenden Widerspruch, die allgemeine ,Logik', schl~igt
diese Frage nieder." Um so sahlimmer fiir die Logik! Wir miissen
ihre Herrs~hatt stiirzen: ,,Wenn so die Maeht des Verstandes im
Felde der Fragen nach dem Nichts und dem Sein gebrochen wird,
dann entscheidet sich damit auch das Schidisal der Herrschait der
,Logik' innerhalb der Philosophie. Die Idee der ,Logik' selbst
232
Rudolf Carnap
16st sich auf im Wirbel eines urspriinglicheren Fragens." Wird aber
die niichterne Wissenschai~ mit dem Wirbel eines widerlogischen
Fragens einverstanden sein? Auch darauf ist schon die Antwort gegeben: ,,Die vermeintliche Niichternheit und f3berlegenheit der Wissenschai~ wird zur L~icherlichkeit, wenn sie das Niahts nicht ernst
nimmt." So finden wir eine gute Best~itigung fiir unsere These; ein
Metaphysiker kommt hier selbst zu der Feststellung, dat~ seine Fragen und Antworten mit der Logik und der Denkweise der Wissenschai~ nicht vereinbar sind.
Der Unterschied zwischen unserer These und der der [riiheren
Antimetaphysiker ist jetzt deutlich. Die Metaphysik gilt uns nicht
als ,,bloi~es Hirngespinst" oder ,,M~irdoen". Die S~itze eines M~irchens widerstreiten nicht der Logik, sondern nur der Erfahrung; Sie
sind durchaus sinnvoll, wenn auch falsch. Die Metaphysik ist kein
,,Aberglaube"; glauben kann man an wahre und an falsche S~itze,
aber nicht an sinnlose Wortreihen. Auch nicht als ,,Arbeitshypothesen'" kommen die metaphysischen S~itze in Betracht; denn fiir
eine Hypothese ist das Ableitungsverh~ilmis zu (wahren oder falschen) empirischen S~itzen wesentlich, und das fehlt ja gerade bei
Scheins~itzen.
Unter Hinweis auf die sog. Beschriinletheit des menschlichen Erleenntnisverm6gens wird zuweilen folgender Einwand erhoben, um
die Metaphysik zu retten: die metaphysischen S~itze k~nnen zwar
nicht vom Menschen oder sonst einem endlichen Wesen verifiziert
werden; sie k~nnten aber vielleicht als Vermutungen dariiber gelten,
was von einem Wesen mit h~herem oder gar vollkommenem Erkennmisverm~gen auf unsere Fragen geantwortet werden wilrde,
und als Vermutungen w~iren sie doah immerhin sinnvoll. Gegen
diesen Einwand wollen wir folgendes iiberlegen. Wenn die Bedeutung eines Wortes nicht angebbar ist, oder die Wortreihe nicht syntaxgem~it~ zusammengestellt ist, so liegt nicht einmal eine Frage vor.
(Man denke etwa an die Scheinfragen: ,,Ist dieser Tisch babig?",
,,Ist die Zahl Sieben heilig?", ,,Sind die geraden oder die ungeraden
Zahlen dunkler?".) Wo keine Frage ist, kann auch ein allwissendes
Wesen nicht antworten. Der Einwender wird nun vielleicht sagen:
wie ein Sehender dem Blinden eine neue Erkenntnis mitteilen kann,
so k~nnte ein h~Sheres Wesen uns vielleicht eine metaphysische Erkenntnis mitteilen, z. B. ob die sichtbare Welt Erscheinung eines
Geistes ist. Hier miissen wir iiberlegen, was ,,neue Erkennmis'" heit~t.
Wir k~nnen uns allerdings denken, daft wir Tiere treffen, die uns
Oberwindung der Metapbysik durcb logiscbeAnalyse der Spracbe 233
von einem neuen Sinn berichten. Wenn diese Wesen uns den F e r m a t schen Satz beweisen wiirden oder ein neues physikalisches Instrument erfinden wiirden oder ein bisher unbekanntes Naturgesetz
aufstellen wiirden, so wiirde unsere Erkennmis durch ihre Hilfe bereichert. Denn Derartiges k/Snnen wit nachpriifen, wie ja auch der
Blinde die ganze Physik (und damit alle Siitze des Sehenden) verstehen und nachpriifen kann. Wenn aber die angenommenen Wesen
uns etwas sagen, was wir nicht verifizieren kiSnnen, so kSnnen wir
es auch nicht verstehen; fiir uns liegt dann gar keine Mitteilung vor,
sondern blot~e Sprechkliinge ohne Sinn, wenn auch vielleicht mit Vorstellungsassoziationen. Durch ein anderes Wesen kann somit, gleichviel ob es mehr oder weniger oder alles erkennt, unsere Erkenntnis
nur quantitativ verbreitert werden, aber es kann keine Erkenntnis
von prinzipiell neuer Art hinzukommen. Was uns ungewifl ist, kann
uns mit Hilfe eines andern gewisser werden; was abet fiir uns unverstehbar, sinnlos ist, kann uns nicht durch die Hilfe eines andern
sinnvoll werden, und wii~te er noch so viel. Daher kann uns auch
kein Gott und kein Teufel zu einer Metaphysik verhelfen.
6. S i n n l o s i g k e i t
aller Metaphysik
Die Beispiele metaphysischer Siitze, die wir analysiert haben, sind
alle nur ~iner Abhandlung entnommen. Aber die Ergebnisse gelten in
iihnlicher, zum Tell in w/Srtlich gleicher Weise auch fiir andere metaphysische Systeme. Wenn jene Abhandlung einen Satz yon H e g e l
zustimmend zitiert (,,Das reine Sein und das reine Nichts ist also
dasselbe"), so besteht diese Berufung durchaus zu Recht. Die Metaphysik H e g e 1 s hat logisch genau den gleichen Charakter, den wir
bei jener modernen Metaphysik gefunden haben. Und dasselbe gilt
auch fiir die iibrigen metaphysischen Systeme, wenn auch die Art
ihrer Sprachwendungen und damit die Art der logischen Fehler mehr
oder weniger v o n d e r Art der besprochenen Beispiele abweicht.
Weitere Beispiele fiJr Analysen einzelner metaphysischer S~itze
verschiedener Systeme hier beizubringen, diirfie nicht n~tig sein. Es
sei nur auf die h~iufigsten Fehlerarten hingewiesen.
Vielleicht die meisten der logischen Fehler, die in Scheins~itzen
begangen werden, beruhen auf den logischen M~ingeln, die dem Gebrauch des Wortes ,,sein" in unserer Sprache (und der entsprechenden
W/Srter in den iibrigen, wenigstens den meisten europ~iischen Sprachen) anhatten. Der erste Fehler ist die Zweideutigkeit des Wortes
,,sein"; es wird einmal als Kopula vor einem Pr~idikat verwendet
2 34
Rudolf Carnap
(,,ida bin hungrig"), ein andermal als Bezeidanung fiir Existenz (,,ida
bin"). Dieser Fehler wird dadurda versdalimmert, daf~ die Metaphysiker sida h~iufig fiber diese Zweideutigkeit nidat klar sind. Der
zweite Fehler liegt in der Form des Verbums bei der zweiten Bedeutung, der Existenz. Durda die verbale Form wird ein Pr~idikat
vorgetiiusdat, wo keines vorliegt. Man hat zwar liingst sdaon gewut~t,
dat~ die Existenz kein Merkmal ist (vgl. K a n t s Widerlegung des
ontologisdaen Gottesbeweises). Aber erst die moderne Logik ist hierin
v/511ig konsequent: sie fiihrt das Existenzzeidaen in einer derartigen
syntaktisdaen Form ein, daft es nidat wie ein Pr~idikat auf Gegenstandszeidaen bezogen werden kann, sondern nut auf ein Pr~idikat
(vgl. z. B. Satz I I I A in der Tabelle S. 23o ). Die meisten Metaphysiker seit dem Altertum haben sich durda die verbale und damit pr~idikative Form des Wortes ,,sein" zu Sdaeins~itzen verfiihren lassen,
z. B. ,,ida bin", ,,Gott ist".
Ein Beispiel fiir diesen Fehler finden wir in dem,,cogito, ergo sum" desD e s c a r t e s.
Von den inhaltlichen Bedenken, die gegen die Pr~imisse erhoben women sind
ob n~imlidader Satz ,,ida denke" ~idaquater Ausdruck des gemeinten Sadaverhaltes
sei oder vielleicht eine Hypostasierung enthalte --, wollen wit hier giinzlich absehen und die beiden S~itze nur yore formal-logischen Gesidatspunkt aus betrachten. Da bemerken wir zwei wesentliche logisdae Fehler. Der erste liegt im Sdalut~satz ,,ida bin". Das Verbum ,,sein" ist hier zweifellos im Sinne der Existenz
gemeint; denn eine Kopula kann ohne Pr~idikat nidat gebraudat werden; das ,,ida
bin" des Des c a r t e s ist ja auch stets in diesem Sinne verstanden worden.
Dann verstiJi~t abet dieser Satz gegen die vorhin genannte logisdae Regel, dai~
Existenz nur in Verbindung mit einem Pr~idikat, nidat in Verbindung mit einem
Namen (Subjekt, Eigennamen) ausgesagt werden kann. Ein Existenzsatz hat nicht
die Form ,,a existiert" (wie bier: ,,ida bin", d. h. ,,ida existiere"), sondern ,,es
existiert etwas yon der und der Art". Der zweite Fehler liegt in dem rJbergang
yon ,,ida denke" zu ,,ida existiere". Soll aus dem Satz ,,P(a)" (,,dem a kommt die
Eigensdaait P zu") ein Existenzsatz abgeleitet werden, so kann dieser die Existenz
nur in bezug auf das Pr~idikat P, nicht in bezug auf das Subjekt a der Pr~imisse
aussagen. Aus ,,ida bin ein Europ~ier" folgt nicht ,,ida existiere", sondern ,,es
existiert ei'n Europ~ier". Aus ,,ida denke" folgt nidat ,,ida bin", sondern ,es gibt
etwas Denkendes".
Der Umstand, dat~ unsere Spradaen die Existenz durda ein Verbum
(,,sein" oder ,,existieren") au~driJcken, ist an sida noda kein logisdaer
Fehler, sondern nur unzwedim~it~ig, gef~ihrlida. Durch die verbale
Form l~iflt man sida leidat zu der Fehlauffassung verfiihren, als sei die
Existenz ein Pr~idikat; man kommt dann zu solchen logisda verkehrten und daher sinnlosen Ausdruckswelsen, wie wir sie soeben
betrachtet haben. Denselben Ursprung haben auch solche Formen,
wie ,,das Seiende", das ,,Nidat-Seiende", die ja seit jeher in der Metaphysik eine grofle Rolle gespielt haben. In einer logisch korrekten
r
der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache a35
Sprache lassen sich solche Formen gar nicht bilden. Wie es scheint,
hat man in der lateinischen und in der deutschen Sprache, vieUeicht
durch das griechische Vorbild verfiihrt, die Formen ,,ens" bzw.
,,seiend" eigens zum Gebrauche des Metaphysikers eingefiihrt; so
machte man die Spradle logisch schlechter, w~ihrend man glaubte,
einen Mangel zu beheben.
Ein anderer sehr h~iufig vorkommender Verstof~ gegen die logische
Syntax ist die sog. ,,Spbiirenvermengung " der Begriffe. W~ihrend der
vorhin genannte Fehler darin besteht, dab ein Zeichen mit nichtpr~idikativer Bedeutung wie ein Pr~idikat verwendet wird, wird hier
ein Pr~idikat zwar als Pfiidikat verwendet, aber als Pr~idikat einer
anderen ,,Sph~ire"; es liegt eine Verletzung der Regeln der sog.
,,Typentheorie" vor. Ein konstruiertes Beispiel hierfiir ist der friiher
betrachtete Satz: ,,Caesar ist eine Primzahl". Personennamen und
Zahlw/Srter geh/Sren zu versdaiedenen logischen Sph~iren, und daher
auch Personenpr~idikate (z. B. ,,Feldherr") und Zahlenpr~idikate
(,,Primzahl"). Der Fehler der Sph~irenvermengung ist, im Unterschied zu dem vorher er/Srterten Sprachgebrauch des Verbums ,,sein",
nicht der Metaphysik vorbehalten, sondern kommt schon in der Umgangssprache sehr h~iufig vor. Er fiihrt hier aber selten zu Sinnlosigkeiten; die Mehrdeutigkeit der WSrter in bezug auf die Sph~iren ist
hier vonder Art, dal~ sie leicht beseitigt werden kann.
Beispiel: I. ,,Dieser Tisch ist gr~t~er als jener." 2. ,,Die HiShe dieses Tisdaes
ist griSfler als die HiShe jenes Tisches." Hier wird das Wort ,,griSlier" in (x) als
Beziehung zwischen Gegenst~inden, in (2) als Beziehung zwischen Zahlen gebraucht,
also fiir zwei verschiedene syntaktische Kategorien. Der Fehler ist hier unwesentlich; er kiSnnte z. B. dadurda eliminiert werden, dal~ ,,gr~i~erl" und ,,griSf~er="
geschrieben wird; ,,gr~Sf~erL"wird dann aus ,,griSlier2" dadurda definiert, daf~ Satzform (i) als gleichbedeutend mit (2) (und einigen anderen ~hnlichen) erkl~irt wird.
Da die Sph~irenvermengung in der Umgangssprache kein Unheil
anrichtet, pflegt man sie iiberhaupt nicht zu beachten. Das ist fiir
den gew~ShnlichenSprachgebrauda zwar zweckmiiffig, hat aber in der
Metaphysik unheilvolle Folgen gehabt. Hier hat man sida, verfiihrt
durch die Gew/Shnung in der Alltagssprache, zu solchen Sph~irenvermengungen verleiten lassen, die nicht mehr, wie die der Alltagsspradae, in logisch korrekte Form iibersetzt werden k~Snnen. Scheins~itze dieser Art finden sich besonders h~iufig z. B. bei H e g e I und
bei H e i d e g g e r , der mit vielen Eigentiimlidakeiten der H e g e l schen Sprachform auch manche ihrer logischen M~ingel mit iibernommen hat. (Es werden z. B. Bestimmungen, die sich auf Gegenst~inde
9einer gewissen Art beziehen sollten, start dessen auf eine Bestimmung
23 6
Rudolf Carnap
dieser Gegenst~inde oder auf das ,,Sein" oder das ,,Dasein'" oder auf
eine Beziehung zwischen diesen Gegenst~inden bezogen.)
Nachdem wir gefunden haben, dab vide metaphysische S~itze finnlos find, erhebt sich die Frage, ob es vielleicht doch einen Bestand
an sinnvollen S/itzen in der Metaphysik gibt, der iibrigbleiben wiirde,
wenn wir die sinnlosen ausmerzen.
Man kSnnte ja dutch unsere bisherigen Ergebnisse zu der Auffassung kommen, dab die Metaphysik vide Gefahren, in Sinnlosigkeit zu geraten, enth~ilt, und dab man sidl daher, wenn man Metaphysik betreiben will, bemiihen miisse, diese Gefahren sorgf~iltig zu
meiden. Aber in Wirklichkeit liegt die Sadie so, dat~ es keine sinnvollen metaphysischen S~itze geben kann. Das folgt aus der Aufgabe,
die die Metaphysik sid~ stellt: fie will eine Erkenntnis finden und
darstellen, die der empirischen WissenschaPc nicht zug~inglich ist.
Wit haben uns friiher ~iberlegt, dab der Sinn eines Satzes in der
Methode seiner Verifikation liegt. Ein Satz besagt nur das, was an
ihm verifizierbar ist. Daher kann ein Satz, wenn er iiberhaupt etwas
besagt, nur eine empirische Tatsache besagen. Etwas, das prinzipiell
jenseits des Erfahrbaren l~ige, kSnnte weder gesagt, noch gedacht,
nod~ erfragt werden.
Die (sinnvollen) S~itze zerfallen in folgende Arten: Zun~i&st gibt
es S~itze, die schon auf Grund ihrer Form allein wahr sind (,,Tautologien" nach W i t t g e n s t e i n; sie entsprechen ungef/ihr K a n t s
,,analytischen Urteilen"); sie besagen nichts iiber die Wirklid~keit.
Zu dieser Art gehSren, die Formeln der Logik und Mathematik; sic
sind nicht selbst Wirklichkeitsaussagen, sondern dienen zur Transformation solcher Aussagen. Zweitens gibt es die Negate soldier
S/itze (,,Kontradiktionen); sie find widerspruchsvoll, also auf Grund
ihrer Form falsda. Fiir alle iibrigen S~itze liegt die Entscheidung tiber
Wahrheit oder Falsd~heit in den Protokolls/itzen; sie sind somit
(wahre oder falsche) Erfahrungssfitze und gehSren zum Bereich der
empirischen Wissenschafi. Will man einen Satz bilden, der nicht zu
diesen Arten gehSrt, so wird er automatisch sinnlos. Da die Metaphysik weder analytische S~itze sagen, noch ins Gebiet der empirischen Wissenscha~ geraten will, so ist fie gen~tigt, entweder W/Srter
anzuwenden, fiir die keine Kriterien angegeben werden und die daher bedeutungsleer sind, oder abet bedeutungsvolle Wi~rter so zusammenzustellen, dat~ sich weder ein analytischer (bzw. kontradiktorischer)
noda ein empirischer Satz ergibt. In beiden F/illen ergeben rich notwendig Scheins~itze.
[Jberwindung der Metaphysik durchlogischeAnalyse der Sprache a3 7
Die'logische Analyse spricht somit das Urteil der Sinnlosigkeit
fiber jede vorgebliche Erkenntnis, die fiber oder hinter die Erfahrung
greifen will. Dieses Urteil trifft zun~ichst jede spekulative Metaphysik, jede vorgebliche Erkenntnis aus reinem Denken oder aus
reiner Intuition, die die Erfahrung entbehren zu k/Jnnen glaubt.
Das Urteil bezieht sich aber auoh auf diejenige Metaphysik, die, yon
der Erfahrung ausgehend, durch besondere Schliisse das aufler oder
hinter der ErJahrung Liegende erkennen will (also z. B. auf die
neovitalistische These einer in den organischen Vorg~ingen wirkenden
,,Entelechie", die physikalisch nicht erfaf~bar sein soll; auf die Frage
nadl dem ,,Wesen der Kausalbeziehung" fiber die Feststellung gewisser Regelm~if~igkeiten des Aufeinanderfolgens hinaus; auf die
Rede vom ,,Ding an sich"). Weiter gilt das Urteil auch ffir alle
Wert- oder Normphilosophie, ffir jede Ethik oder Asthetik als
normative Disziplin. Denn die objektive Gfiltigkeit eines Wertes oder
einer Norm kann ja (auch nach Auffassung der Wertphilosophen)
nicht empirisch verifiziert oder aus empiris&en S~itzen deduziert werden; sie kann daher iiberhaupt nicht (durch einen sinnvollen Satz)
ausgesprochen werden. Anders gewendet: Entweder man gibt ffir
,,gut" und ,,sch~Sn" und die iibrigen in den Normwissenscha~en verwendeten Pr~idikate empirische Kennzeichen an oder man tut das
nicht. Ein Satz mit einem derartigen Pr~idikat wird im ersten Fall
ein empirisches Tatsachenurteil, aber kein Werturteil; im zweiten
Fall wird er ein Scheinsatz; einen Satz, der ein Werturteil ausspr~iche, kann man fiberhaupt nicht bilden.
Das Urteil der Sinnlosigkeit trifft schliet~li& auch jene metaphysischen Richtungen, die man unzutreffend als erkenntnistheoretische
Richtungen zu bezeichnen pflegt, n~imli& den Realismus (sofern er
mehr besagen will als den empirischen Befund, dab die Vorg~inge
eine gewisse Regetm~if~igkeit aufweisen, wodurch die M/Sgli&keit zur
Anwendung der induktiven Methode gegeben ist) und seine Gegner:
subjektiven Idealismus, Solipsismus, Ph~inomenalismus, Positivismus
(ira frfiheren Sinne).
Was aber bleibt denn fiir die Philosophie iiberhaupt noch fibrig,
wenn alle S~itze, die etwas besagen, empirischer Natur sind und zur
Realwissenschatt geh~ren? Was bleibt, sind nicht S~it~e, keine Theorie,
kein System, sondern nur eine Methode, n~imlich die der logischen
Analyse. Die Anwendung dieser Methode haben wir in ihrem negariven Gebrauch im Vorstehenden gezeigt: Sie dient hier zur Ausmerzung bedeutungsloser W~Srter, sinnloser Scheins~itze. In ihrem
238
Rudolf Carnap
positiven Gebrauda dient sie zur Kl~irung der sinnvollen Begriffe
und S~itze, zur logischen Grundlegung der Realwissenschaf~ und der
Mathematik. Jene negative Anwendung der Methode ist in der vorliegenden historischen Situation n~tig und wichtig. Fruchtbarer, auch
schon in der gegenw~irtigen Praxis, ist aber die positive Anwendung;
doch kann auf sie hier nicht n~iher eingegangen werden. Die angedeutete Aufgabe der logischen Analyse, der Grundlagenforschung, ist
es, die wir unter ,,wissenschafllicher Pbilosopbie'" im Gegensatz zur
Metaphysik verstehen; an dieser Aufgabe wollen die meisten Beitr~ige dieser Zeitschrit~ arbeiten.
Die Frage nach dem logischen Charakter der S~itze, die wir als
Ergebnis einer logischen Analyse erhalten, z. B. der S~itze dieser
und anderer logischer Abhandlungen, kann hier nur andeutend dahin
beantwortet werden, daft diese S~itze teils analytisch, teils empirisch
sind. Diese S~itze fiber S~itze und Satzteile geh~iren n~imlich teils der
reinen Metalogik an (z. B. ,,eine Reihe, die aus dem Existenzzeidaen
und einem Gegenstandsnamen besteht, ist kein Satz"), teils der
deskriptiven Metalogik (z. B. ,,die Wortreihe an der und der Stelle
des und des Buches ist sinnlos"). Die Metalogik wird an anderer
Stelle erSrtert werden; dabei wird auch gezeigt werden, daft die
Metalogik, die fiber die S~itze einer Sprache spricht, in dieser Sprache
selbst formuliert werden kann.
7- M e t a p h y s i k
als Ausdruck
des Lebensgefiihls
Wenn wir sagen, daft die S~itze der Metaphysik v~illig sinnlos sind,
gar nichts besagen, so wird auch den, der unseren Ergebnissen verstandesm~iftig zustimmt, doch noch ein Gefiihl des Befremdens plagen:
sollten wirklich so viele M~inner der verschiedensten Zeiten und V~Iker, darunter hervorragende K~Spfe, so viel Miihe, ja wirkliche Inbrunst auf die Metaphysik verwendet haben, wenn diese in nichts
bes6inde als in bloflen, sinnlos aneinandergereihten WSrtern? Und
w~re es verst~indlida, daft diese Werke bis auf den heutigen Tag
eine so starke Wirkung auf Leser und HiSrer ausiiben, wenn sie
nicht einmal Irrtfimer, sondern fiberhaupt nichts enthielten? Diese
Bedenken haben insofern recht, als die Metaphysik tats~ichlich etwas
enth~ilt; nur ist es kein theoretischer Gehalt. Die (Schein-)S~itze der
Metaphysik dienen nicbt zur Darstellung yon Sachverbalten, weder
yon bestehenden (dann w~iren es wahre S~itze) noch yon nicht bestehenden (dann w~.ren es wenigstens falsche S~itze); sie dienen zum
Ausdruck des Lebensgefiihls.
Oberwindungder MetaphysikdurchlogischeAnalyse der Sprache 239
Vielleicht diirfen wir annehmen, dab es der Mythus ist, aus dem
sich die Metaphysik entwickelt hat. Das Kind ist auf den ,,bSsea
Tisch", der es gestos hat, zornig; der Primitive bemiiht sich, den
drohenden D~imon des Erdbebens zu versShnen oder er verehrt die
Gottheit des fruchtbringenden Regens in Dankbarkeit. Hier haben
wir Personifikationen yon Naturerscheinungen vor uns, die der quasidichterische Ausdruck fiir das gefiihlsm~it~igeVerh~iltnis des Menschen
zur Umwelt sind. Das Erbe des Mythus tritt einerseits die Dichtung
an, die die Leistung des Mythus fiir das Leben mit bewuf~ten Mitteln hervorbringt und steigert; andererseits die Theologie~ in der der
Mythus sich zu einem System entwickelt. Welches ist nun die historische Rolle der Metaphysik? Vielleicht diirfen wir in ihr den Ersatz
fiir die Theologie auf der Stufe des systematischen, begrifflichen
Denkens erblicken. Die (vermeintlich) iibernatiirlichen Erkennmisquellen der Theologie werden hier ersetzt durch natiirliche, aber (vermeintlich) iiber-empirische Erkenntnisquellen. Bei n~iherem Zusehen
ist auch in dem mehrmals ver~inderten Gewand noch der gleiche Inhalt wie im Mythus zu erkennen: wir finden, daf~ auch die Metaphysik aus dem Bediirfnis entspringt, das Lebensgefiihl zum Ausdruck
zu bringen, die Haltung, in der ein Mensch lebt, die gefiihls- und
willensm~if~igeEinstellung zur Umwelt, zu den Mitmenschen, zu den
Aufgaben, an denen er sich bet~itigt, zu den Schicksalen, die er erleidet. Dieses Lebensgefiihl ~iuf~ert sich, meist unbewut~t, in allem,
was der Mensch mt und sagt; es pr~igt sich auch in seinen Gesichtsziigen, vielleicht auch in der Haltung seines Ganges aus. Manche
Menschen haben nun das Bediirfnis, dariiber hinaus noch einen besonderen Ausdruck fiir ihr Lebensgefiihl zu gestalten, in dem es konzentrierter und eindringlicher wahrnehmbar wird. Sind solche Menschen kiinstlerisch bef~ihigt, so finden sie in der Formung eines Kunstwerkes die MSglichkeit, sich auszudriicken. Wie sich in Stil und Art
des Kunstwerkes das Lebensgefiihl kundgibt, ist yon verschiedenen
schon klargelegt worden (z. B. yon D i I t h e y und seinen Schiilern).
(Hierbei wird h/iufig der Ausdruck ,,Weltanschauung" gebraucht; wir
vermeiden ihn lieber wegen seiner Zweideutigkeit, durch die der
Unterschied zwischen Lebensgeffihl und Theorie verwischt wird, der
fiir unsere Analyse gerade entscheidend ist.) Hierbei ist fiir unsere
Uberlegung nur dies wesentlich, daf~ die Kunst das ad~iquate, die Metaphysik aber ein inad/iquates Ausdrucksmittel fiir das Lebensgefiihl
ist. An und fiir sich w/ire natiirlich gegen die Verwendung irgendeines beliebigen Ausdrucksmittels nichts einzuwenden. Bei der Meta'7 E r k e n n t n i s
I[
24 ~
Rudolf Carnap
physik liegt jedoch die Sache so, dag sie durch die Form ihrer Werke
etwas vort~iuscht, was sie nicht ist. Diese Form ist die eines Systems
yon S~itzen, die in (sdaeinbarem) Begr~ndungsverh~ltnis zueinander
stehen, also die Form einer Theorie. Dadurch wird ein theoretisdaer
Gehalt vorget~iuscht, w~ihrend jedoch, wie wir gesehen haben, ein
solcher nidlt vorhanden ist. Nicht nur der Leser, sondern auch der
Metaphysiker selbst befindet sich in der T~iuschung, daf durch die
metaphysischen S~itze etwas besagt ist, Sachverhalte beschrieben sind.
Der Metaphysiker glaubt sidl in dem Gebiet zu bewegen, in dem es
um wahr und falsch geht. In Wirklichkeit hat er jedoch nichts ausgesagt, sondern nur etwas zum Ausdruck gebracht, wie ein Kiinstler.
Daf der Metaphysiker sich in dieser T~iuschung befindet, k~nnen wir
nid~t schon daraus entnehmen, daft er als Ausdrucksmedium die
Sprache und als Ausdru&sform Aussages~itze nimmt; denn das gleid~e
tut auch der Lyriker, ohne dod~ jener Selbstt~iuschung zu unterliegen. Aber der Metaphysiker ftihrt fiir seine S~tze Argumente an,
er verlangt Zustimmung zu ihrem Inhalt, er polemisiert gegen den
Metaphysiker anderer Richtung, indem er dessen S~itze in seiner Abhandlung zu widerlegen sucht. Der Lyriker dagegen bemtiht sich
nicht, in seinem Gedicht die S~tze aus dem Gedicht eines anderen
Lyrikers zu widerlegen; denn er weir, d a f e r sich im Gebiet der
Kunst und nicht in dem der Theorie befindet.
Vielleicht ist die Musik das reinste Ausdrucksmittel ftir das Lebensgeftihl, weil sie am st~rksten yon allem Gegenst~indlichen befreit ist.
Das harmonische Lebensgefiihl, das der Metaphysiker in einem monistischen System zum Ausdruck bringen will, kommt klarer in
Mozartscher Musik zum Ausdruck. Und wenn der Metaphysiker sein
dualistisch-heroisches Lebensgeftihl in einem dualistischen System ausspricht, tut er es nicht vielleicht nur deshalb, weil ihm die F~ihigkeitBeethovens fehlt, dieses Lebensgef[ihl im ad~quaten Medium auszudrtikken? Metaphysiker sind Musiker ohne musikalisdle F~ihigkeit. Dafiir
besitzen sie eine starke Neigung zum Arbeiten im Medium des Theoretischen, zum Verknlipfen yon Begriffen und Gedanken. Anstatt
nun einerseits diese Neigung im Gebiet der Wissenschafi zu bet~itigen
und andererseits das Ausdrucksbediirfnis in der Kunst zu befriedigen,
vermengt der Metaphysiker beides und schafft ein Gebilde, das f~ir
die Erkenntnis gar nidats und fiJr das Lebensgefiihl etwas Unzul~ingliches leistet.
Unsere Vermutung, dat~ die Metaphysik ein Ersatz, allerdings ein
unzul~inglicher, fiir die Kunst ist, scheint auch durch die Tatsache
Oberwindung der Metaphysik durdo logisdoeAnalyse der Spraclse 24i
best~itigt zu werden, daf~ derjenige Metaphysiker, der vielleicht die
st~irkste kiinstlerische Begabung besafl, n~imlich N i e t z s c h e, am
wenigsten in den Fehler jener Vermengung geraten ist. Ein grof~er
Teil seines Werkes hat vorwiegend empirischen Inhalt; es handelt
sich da z. B. um die historische Analyse bestimmter Kunstph~inomene,
oder um die historisch-psychologische Analyse der Moral. In dem
Werke aber, in dem er am st~irksten das zum Ausdruck bringt, was
andere durch Metaphysik oder Ethik ausdriicken, n~imlich im ,,Zarathustra", w~ihlt er nicht die irrefiihrende theoretische Form, sondern
often die Form der Kunst, der Dichtung.
Zusatz bei der Korrektur.
Ida habe inzwischen zu meiner Freude
bemerkt, daft aucb yon anderer Seite im Namen der Logik eine energisdae Ahlehnung der modernen Nichts-Philosophie ausgesprochen vrorden ist. Oskar
K r a u s gibt in einem Vortrag (,,Uber Alles und Nichts", Leipziger Rundfunk,
i. Mai x93o; Philos. Hefte 2, S. I4 o, x93x) einige Hinweise auf die historisdae
Entwicklung der Nichts-Philosophie und sagt dann iiber Heidegger: ,,Die WissensdaaPc wiirde sidl l~icherlida machen, wenn sie es [das Nichts] ernst n~ihme, - - .
Denn nidats bedroht das Ansehen aller philosophischen Wissenschal~ ernstlicher
als ein Wiederauflehen jener Nichts- und AIIes-Philosophie." Ferner macht
H i 1 b e r t in einem Vortrag (,,Die Grundlegung der elementaren Zahlenlehre",
Dez. i93o in der Philos. Ges. Hamburg; Math. Ann. xo4, S. 485, x93 I) die
folgende Bemerkung, ohne Heideggers Namen zu nennen: ,,In einem neueren
philosophischen Vortrag finde ida den Satz: ,Das Nichts ist die schlechthinnige
Verneinung der Allheit des Seienden'. Dieser Satz ist deshalb lehrreich, weil er
trotz seiner Kiirze alle haupts~ichlichen Versti~/~e gegen die in meiner Beweistheorie aufgestellten Grunds~itze illustriert."
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